Zwei Uhr Neunundzwanzig. Montalcino.
Zwei ältere Herren plauderten mit Händen und ganzem Körpereinsatz und überwanden damit alle Sprachbarrieren. Daraus wurde eine kurze Geschichte zum Thema Brunello.
Herbst im Weingarten von Poggio Antico.
Der eine Typ stoppelglatzig, vielleicht um über das wahre Alter hinweg zu täuschen, und kaum einer anderen Sprache mächtig als italienisch, seiner Muttersprache, der andere weisshaarig – aber die dünnen Haare zu einem Zopferl gebunden, vielleicht um den Ex-Revoluzzer ein bisserl heraus hängen zu lassen, in mehreren Sprachen der Speisekarten-Version argumentationsfähig.
Der eine ein ehemaliger Funktionär der Stadt und des Consorzio di Brunello di Montalcino, der andere ein Wein-Schreiberling, der seit mehr als 25 Jahren diesen Circus rund um die Weine hier mitmacht.
Der eine hatte eines der wenigen Lokale, in die man hier auch spätuhr gehen konnte, der andere ist einer der wenigen aus diesem Tross mit Weinleuten aus aller Welt, die hier jährlich wie ein Heuschrecken-Schwarm einfallen – und wieder verschwinden, der auch spätuhr noch ein Glaserl trinken will. Den Ehrgeiz, um 09:00 der erste bei der Verkostung zu sein, um möglichst viele Weine zu schaffen, hat er längst bei der Ortstafel abgelegt.
Was auch einen einfachen Grund hat. Man erfährt einfach viel mehr über den Jahrgang, über die Probleme und Erfolge - und auch wie es den Leuten wirklich geht - in zwei, drei Lokalen, wo die Winzer, Oenologen oder Mitarbeiter eines Weingutes selbst fortgehen, als bei der Veranstaltung, wo alle genau das sagen, was sie sagen sollen. Eigentlich eh logisch.
Es gibt halt nur mehr einige wenige Typen, die sich noch erinnern, dass Anfang der 1980er noch fast überall, wo heute Trauben für den Brunello angebaut werden, Moscadello oder überhaupt nur Gestrüpp wuchs. Und es ergab sich, dass eben diese beiden oben beschriebenen älteren Typen sich trafen.
Anfang der 1980er gab es ja fast keinen Brunello.
Der Weinjournalist erinnerte sich, dass er – vermutlich Mitte der 80er – das erste Mal bei dieser „Benvenuto Brunello“ Veranstaltung war, wo damals ungefähr 25 Produzenten ihre Weine präsentierten. Der ehemalige Funktionär erzählte von dem alten Lancia, den er mit den Weinen von 18 unabhängigen kleinen Weinproduzenten - völlig überladen - zur VinItaly nach Verona steuerte.
Natürlich gab es damals schon die zwei Handvoll namhafter Produzenten, wie Biondi Santi, Poggio alle Mura (heute Banfi), Barbi etc. Aber es ging ja um die „kleinen“ aufstrebenden Weingüter. Das Consorzio wurde gegründet – und man schrieb fest, dass Brunello nur aus 100% Sangiovese Grosso, diesem Klon, der eben hier die besten Ergebnisse brachte, gekeltert werden dürfe.
Heute stehen ca. 150 Produzenten – und das sind bei weitem nicht alle, die es hier gibt – auf dieser Veranstaltung und schenken stolz Weine aus, die ein Vielfaches von dem kosten, was sie anderswo erzielen würden. Es gibt in ganz Italien kaum eine andere Stadt, in der die Aufkleber der Kreditkarten-Firmen so präsent sind, wie in diesem winzigen Städtchen Montalcino. Begleitet von Schildern, wie „we ship worldwide“.
Und in drei Dingen sind sich Stoppelglatze und Weisshaarzopf durchaus einig.
Einerseits, es war eine tolle Entwicklung und manche der End-Achtziger und Bis-Ende-der-Neunziger Brunello (Nein, es gibt keine Mehrzahl des Eigennamens Brunello) sind heute noch grossartige Weine und ihr Geld durchaus wert.
Andererseits, was seit dem Jahrtausendwechsel als Brunello um geradezu unverschämtes Geld angeboten wird, hat mit Brunello einfach gar nichts mehr zu tun. Es gibt Weine, die heute bis zu 180,- Euro kosten, aber in Wahrheit nur saugut gemachte, dunkelbeerige dichte Weine sind, die eigentlich von überallher kommen könnten. Aber das Zeug bekam halt von irgendeinem Ami-Tester viel mehr als 90 Punkte und verkaufte sich deswegen auch wahnsinnig gut. Also begannen viele andere diesen Stil nachzuahmen und scheiterten kläglich. Weil es halt immer nur ein bis drei gibt, die sich dann auch das Marketing und die PR leisten können oder wollen. Und über bleiben dann die, die heute die Keller randvoll haben oder durchaus gute Weine an Aldi, Lidl & Co. verscherbeln, nur um die Raten für den Neubau der Kellerei zahlen zu können.
Modernisten? Traditionalisten? Sowas gibt’s?
Zum dritten gibt es dann die „Traditionalisten“. Einige davon (viel zu wenige) produzieren Brunello, wie man ihn sich wünscht. Sortentypisch fruchtbetont mit kraftvollem Körper, toller Struktur, Eleganz und Länge. Einfach tolle Weine, die, wenn sie auf den Markt kommen, ziemlich trinkreif sind. Brunello ist so lange gelagert, damit man ihn trinken kann, wenn er präsentiert wird. Und danach vielleicht noch 5-10 Jahre. Thats it.
Und hier ein ganz gosser Fehler der Weinfreaks – und ich weiss, ich setzte mich jetzt wieder in die Nesseln. Aber Brunello nochmals zig Jahre in den Keller zu legen ist Unsinn....
...bitte nachdenken – im Jahr 2017 kommt der 2012er auf den Markt. Ja warum lässt man ihn denn so lange reifen? Damit man ihn wieder in den Keller legt und nach Jahren böse ist, weil er nicht mehr gut ist? Nein. Weil er diese Zeit braucht, um sich zu entwickeln. Und dann eben ein paar Jahre lang perfekt zu trinken ist.
Diese lange Zeit im Weingut ist auch der einzige Grund (neben Angebot und Nachfrage), der den höheren Preis rechtfertigt. Denn jeder Brunello-Produzent hat ja fünf (!) mit Riserva sogar noch mehr Jahrgänge im Keller liegen. Das ist logischerweise gebundenes Kapital.
Trotzdem diskutierten wir beide - denn ihr, liebe Leser, wisst ja längst, dass der Weisshaarzopf der Autor dieser Zeilen ist - auch über die andere Seite der „neuen“ Weine. Denn Traditionalismus ist ja okay. Aber Weine, die bei der Präsentation bereits braun, oxidiert und eigentlich tot ins Glas kommen, können es ja wohl auch nicht sein.
Was wollen wir denn dann?
Gute Frage. Einfach erklärt. Brunello wünschen wir uns so: Knackige, lebendige Frucht, in den besten Fällen mit mineralischer Würze, gut gereift, elegant, mit einem Trinkfenster von ungefähr zehn Jahren, dicht und schmelzig mit toller Struktur und Länge. Und mit einem Trinkanimo, das Lust auf das nächste Glas macht. Solche Weine passen dann nämlich auch immer perfekt zum Essen – und dafür wurden sie einst gemacht.
Ein Wein, der irgendwo auf dieser Welt Hundert Punkte bekommt, bei dem man aber eine halbe Stunde braucht, um das Achterl zu leeren (und dann eigentlich kein zweites mehr will, weil man satt ist), die sollen sich meine Herren Kollegen gerne in den Keller legen, wir trinken inzwischen was anderes.
Dafür bezahlen wir auch gerne ein bisserl mehr, aber die Winzer sollten doch ein bisserl in sich gehen und marktgerechte Preise festsetzen. Sonst kaufen die Leut‘ nämlich was anderes. An Mitbewerbern mangelt es weltweit ja wirklich nicht.
Helmut O. Knall ist freier Autor und Wein-Consultant,
sowie Herausgeber des Online-Magazins Wine-Times.com.
© by Weinspitz_Helmut_Knall
last modified: 2017-02-17 22:38:38