"Und sehe, dass wir nichts wissen können!"
Gedanken eines angeblichen Wein-Profis zum wahren Gar-Nix-Wissen.
Was hat Goethe mit einem alten Steyr-Traktor zu tun? Eh. Gar nichts. Man könnte jetzt was konstruieren. Der Traktor hält vielleicht so lange, wie Faust aufgeführt werden wird. Unwahrscheinlich. Wurscht. Es geht eh um ganz was anderes. Um's nichts wissen. Nämlich. Beim Wein.
Steyr. Ein Zylinder. Warum auch nicht.
Der Tragödie erster Teil. So heisst Goethes Anfang von Faust. Und nicht erst seit heute denke ich ein kleines bisserl wie Dr. Faustus. Nein, nicht das ganze stundenlange Werk. Wer wäre denn auch schon mein Gretchen.
Aber es sei mir gestattet, nur die ersten paar Zeilen des – dem Wein ja durchaus nicht abgeneigten Herrn Geheimrats zu zitieren - und zu versuchen meine wirren Gedanken in Relation zu bringen.
„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heissem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heisse Magister, heisse Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-
Und sehe, dass wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.“
Na gut, ja eh, du weißt doch, ich habe das alles nicht studiert, sondern nur Werbung & Verkauf. Bin kein Magister, kein Doktor gar, nur Dkfm. Kennt heut eh keiner mehr.
Wurscht.
Haaach, Sigrun.
Aber mit all den Themen, die der gute Faust, gründlicher als ich, „durchaus studiert“ hat, musste ich mich immer wieder beschäftigen. Weisst eh, war ja gar nicht notwendig alles zu studieren. Unsere Freunde taten das für uns – und forderten in langen Nächten, damals in der kleinen Bude mit WC am Gang, die Diskussion über Philosophie, Juristerei, Medizin und, ja auch Theologie.
Erinnere dich der Lange - wie hiess er noch, der beim Berger Toni im Priesterseminar war, da gleich bei den Amis, in der Boltzmanngasse. Ha, wie wir dem mit der – wie hiess die noch? – Ja, die mit diesen wunderbaren Brüsten - aus Vorarlberg war sie – glaub ich – Sigrun?, Wurscht. Da war ihm Jesus und Zölibat ziemlich schnell ziemlich wurscht.
Hast eh recht. Ich schweife ab. Aber geil war die schon. Ich mein, da standhaft bleiben...
Ja, okay. Weiter. Also. Goethe. Faust. Wein.
Was hat das alles jetzt mit Wein zu tun?. Naja, der floss ja damals schon. Wenn auch in 1975er Studenten(un)qualität. Jetzt ehrlich. Gibt es erquickende Diskussionen ohne Wein? Bier macht müde, Schnaps zu schnell besoffen, Hasch lustig aber langsam, LSD wunderbar bunt diskussionsunfähig, wie narrische Schwammerl, Koks lenkt ab, weil jeder potentielle Schnacksel-Partner wichtiger wird. Ach Sigrun. Zur tiefen Diskussion, da bleibt nur Wein. Gibst mir recht. Danke. Also nicht, dass wir das alles ausprobiert hätten, meinst du? Geh bitte, grad du. Voom Voom, Daungasse sag ich nur. Ja eh, warst nie dabei, immer vorher schon im Bett. Ha!
Goethe, wusstest du das?
Solche Lagen sollen nicht besser sein, als Flachland-Äcker.
Aber eigentlich geht es mir ja um die Zeile:
„Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“
Warum? Nun, seit ungefähr dreissig Jahren reise ich durch die Gegend. In Sachen Wein. Versuche zu begreifen, warum was wie genau so riecht und schmeckt, wie ich dir das immer erkläre. Du armes Schwein du, der du mit einem Riechkolben ausgestattet wurdest, der zwar vielleicht auf die Grösse deines Geschlechtsorgans schliessen lässt, aber selbst bei einem zwei Meter hohen Rosmarin-Buschen nicht nach-riechen kannst, was in dem Primitivo di Manduria so deutlich ähnlich riecht. Ja eh, hast nie gekokst. Daran liegts ganz sicher nicht. Eh klar.
Aber darum geht’s eh nicht. Dass ich mit meiner langen Erfahrung – und dem Glück, in der Kindheit oft in ländlichen Gegenden zu sein (Meine Güte, hat mich das damals genervt), wo meine olfaktorischen Grundlagen irgendwo in diesem seltsamen Weichteil namens Hirn abgespeichert wurden – einfach mehr Sachen rieche, als du Döblinger Gesiba-Bau-Schicki, ist einfach Tatsache. Weisst du eigentlich, dass es Untersuchungen gibt, dass man sich Gerüche besser merkt, als alles andere? Herr Dr. Faustus, Herr Geheimrat, wusstet ihr das?
Und die Briten. Warum eigentlich immer die Briten?
Und es ist wurscht, ob Stahl, Holzfass oder Amphore?
Nun, du weisst ja ich gebe mein Wissen gerne weiter. Das hab ich von den alten britischen Sirs und MW’s, wie die Masters of Wine jetzt grauslich verkürzt werden, gelernt. Michael Broadbent, John Salvi oder Steven Spurrier. Typen mit grossen Namen, die nie zu arrogant waren, um dem komischen Kauz aus Austria – ja, das ohne Kangaroos – ihr Wissen zu verraten. Also, tu ich es auch.
So. Jetzt hab ich endlos geschwafelt und bin immer noch nicht da, wo ich anfangs beim Goethe-Faust-Zitat begann.
„Und sehe, dass wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.“
Erinnere dich. Jahrelang habe ich dir Geschichten von Weinbergen, Terroir, Lagen, Single-Vineyards, vom Wetter und dem Ausbau im Keller erzählt. Dass ich den Loibenberg unter tausenden herauskennen kann. Obwohl ich nie verstanden habe, wieso der eine Winzer alles im Stahltank und der andere alles im riesigen Holzfasse ausgebaut hat, und beide Weine grossartig sind. Trotzdem war das Loibenberg. Immer.
Okay, das ging nicht bei allen Lagen. Aber Margaux ist Margaux, egal ob von Margaux oder Prieure Lichine. Immer. Und so halt. Und dann, weisst eh, ich hab doch immer gelästert, dass die jetzt bei der Sommelier-Ausbildung, darauf zu viel Wert legen. Also, dass es wichtiger ist, dass ein Sommelier erriechen kann, woher der Wein abstammt, als dass er mit dem Koch eine vernünftige Kombi erstellt, damit der Gast für sein vieles Geld auch mit einem Erlebnis heimgeht, anstatt belehrt zu werden, dass der Kellermeister vom Alejandro Fernandez beim Pressen gelbe Gummistiefel anhatte. Ja – eh. Ich bin schon wieder ein bisserl extrem. Aber sorry. War doch so. Erinnere dich an den Sterne-Tempel...
Und jetzt erklärt mir der Freund, der Chemie studiert hat, dass das alles bullshit ist. Dass die Wurzeln der Weinstöcke aus den Böden, zwar Nährstoffe, aber keine Mineralien lösen können, die dann in die Trauben gelangen. Häääähhhh? Aber – wieso schmecken dann manche Weine eben genau so nach Loibenberg oder Margaux und nicht wie Kögl oder Pomerol?
Du kennst ihn, diesen knochentrockenen Typen, dabei ist der doch selber Weinfreak. Und jetzt zuckt der einfach mit den Schultern – und sagt locker: „Vielleicht sind’s ja die Hefen, oder sonst einer der tausenden chemischen Prozesse, die beim Wein so vor sich gehen.“
Pffffhhhhh. Oida – geht’s no?
Orange. Nix Terroir.
Naja, das mit den Hefen ist ja eine Uralt-Theorie von mir. In bestimmten Gegenden werden bestimmte Hefen verwendet. Seit Jahrzehnten. Die lagerten sich in der Kellerflora ein und schwirren in den Weingärten herum. Weisst eh, nach dem Pressen führen ja die meisten die Pressrückstände wieder in die Natur. Nicht abgestorbene Hefen, schwirren weiter. Auch in die Weingärten der Spontanvergärer...
Was meinst? Kann ich nie beweisen? Eh nicht. Bin Schreiberling, nicht Wissenschaftler. Aber ich kenne so Versuchsprojekte, wo man versucht hat, in Bio-Weingärten und sterilisierten neuen Kellern... Bevor die noch mit den Trauben kamen, war da schon eine Kellerflora. Also Hefen, woher auch immer. Sind also die Hefen schuld, dass Weine aus bestimmten Gegenden – zumindest ähnlich schmecken? Alt-Wiener Idiom: „Schmecks Krapferta“. Ehrlich: Keine Ahnung. Aber alles, was ich gelernt und dann auch gelehrt habe, scheint plötzlich irreal.
Und jetzt? Naja, jetzt kommen diese Typen mit ihren „Orange-Wines“. Wie immer man das definieren will, sie machen – egal ob Amphore, Holzfass, Irden oder Stahltank – eine längere Maische-Standzeit. Wie – du weisst nicht was das ist? Hab ich dir doch schon oft gesagt, Oida nerv mi ned. Erinnerst dich? Weisswein, der quasi so wie Rotwein gemacht wird? Aaahhh, es dämmert ihm...
Also, wenn wir jetzt sagen, das Terroir, die Lage, Grand Cru und wie immer die das nennen, sei ausschlaggebend, dann müssten doch Weissweine, die länger auf der Maische sind, bevor sie gepresst werden, genau diese Terroir-Merkmale, diese Lagen-Spezifika, noch deutlicher herausarbeiten. Oder?
Tun sie aber nicht. Im Gegenteil. Selbst die vielbeschriebenen Sorten-Typizitäten, wie das kultige Pfefferl vom Grünen Veltliner, die Pfirsich-Aromen des Riesling, ja selbst beim roten Syrah, die schwarzen Oliven - alles weg. Einzig mein geliebter und seit Jahrzehnten verkannter Neuburger verstärkt sein Nuss-Aroma noch deutlich.
Jetzt sag, alter Freund, was mach ich jetzt? Alles, was ich in dreissig Jahren gelernt habe, als Unfug erklären? Sind alle Weinbewertungen von Parker bis zu mir, völlig obsolet? Sind alle Masters of Wine, alle Master- und normalen Sommeliers, alle Weinkritiker und 99% aller Winzer eigentlich Volltrotteln?
Was ist es denn, das den Geruch, den Geschmack eines Weines ausbildet? Doch nicht das Terroir, die ersten oder grossen Lagen? Braucht man die nur, um gutes, reifes Traubenmaterial zu bekommen? Macht den Rest tatsächlich die unbekannte Madame Flora?
(Und für Insider, nein, was mit Erbslöh & Lagerhaus machbar ist, ist ein anderes Thema.)
Der Tragödie (vorläufig) letzter Teil.
Weiter gehts.
„Und ziehe schon an die dreissig Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-
Und sehe, dass wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.“
Guten Morgen.
Geschrieben von Helmut O. Knall am Morgen des 4. November 2014.
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last modified: 2014-11-04 09:55:59